Prof. Franz Schultheis: Warum Pierre Bourdieu heute relevanter denn je ist | Science Talk

Shownotes

Pierre Bourdieu zählt zu den bekanntesten und wichtigsten Soziologen der Welt. Er lebte von 1930 bis 2002 und verstarb früh an einer schweren Krankheit. Franz Schultheis, Seniorprofessor an der Zeppelin Universität, hat lange mit ihm zusammengearbeitet und bei ihm habilitiert. Außerdem übersetzte er Bourdieus spätere Bücher ins Deutsche. In diesem Science Talk spricht Moderator Michael Scheyer, Leiter der Universitätskommunikation, mit Prof. Schultheis darüber, was für ein Mensch Bourdieu war. Warum war er politisch engagiert? Warum schlug sein Werk "Die feinen Unterschiede" in der Sozialwissenschaft so nachhaltig ein? Was hat er hinterlassen und wie führt Prof. Schultheis Bourdieus Erbe fort? All das ist Teil dieses Science Talks.

Im November 2025 finden in Bielefeld die "Bourdieu Lectures" statt – ein zweitägiges Kolloquium über Pierre Bourdieus Art und Weise, soziologische Studien anzugehen.

Hier gibt es mehr Infos zu den Bourdieu Lectures

Hier gibt es das Interview mit Prof Franz Schultheis zur Fotosammlung Bourdieus

Hier gibt es einen Podcast, der sich dem Hauptwerk "Die feinen Unterschiede" widmet. (Folge 22)

Hier gibt es weitere Informationen zur Zeppelin Universität.


Transkript anzeigen

00:00:00: Heute, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer des ZU-Podcasts, wollen wir über Pierre Bourdieu sprechen.

00:00:07: Pierre Bourdieu, ein Soziologe, ein Sozialwissenschaftler, an dem kommt ja kein

00:00:13: Soziologiestudent vorbei.

00:00:15: Das ist einer der wichtigsten Soziologen unserer Zeit.

00:00:19: Und unserer Zeit heißt, er ist 1930 geboren und 2002 im Alter von 71 Jahren

00:00:26: recht früh verstorben an einer schweren Krankheit.

00:00:30: Aber er hat eines der vielleicht wichtigsten soziologischen Werke hinterlassen,

00:00:36: die feinen Unterschiede, mit dem sich eben jeder Soziologiestudent heute beschäftigen muss.

00:00:43: Pierre Baudier, nur ganz kurz, damit alle dann nochmal abgeholt sind,

00:00:47: er studierte zunächst Philosophie, hat damals eine Abhandlung auch über Leibniz geschrieben.

00:00:53: Dann fing er zunächst an, als Lehrer zu arbeiten, kam aber sehr schnell wieder

00:00:57: ins Militär und wurde in den Algerien-Krieg geschickt.

00:01:02: Danach ging er zurück an die Universität, zunächst an die Sorbonne,

00:01:06: ging dann an die Universität in Lille und studierte 1964 dann,

00:01:10: ich studierte, das ist natürlich ganz falsch,

00:01:12: und ging dann 1964 als Professor an die École des Auditudes en Sciences Sociales.

00:01:18: Das ist eine der wichtigsten soziologischen, sozialwissenschaftlichen Universitäten,

00:01:23: Hochschulen in Frankreich. Er verfasste eben das Hauptwerk Die feinen Unterschiede,

00:01:28: ein 700 Seiten starkes Werk darüber, wie sich die Milieus.

00:01:34: Durch Geschmäcker voneinander unterscheiden. Darauf wollen wir vielleicht nicht

00:01:38: heute in die Tiefe eingehen.

00:01:39: Also jeder Zuhörer und jede Zuhörerin, die sich vielleicht freut,

00:01:42: jetzt irgendwie viel über das Hauptwerk zu erfahren, da gibt es nachher eine

00:01:45: Podcast-Empfehlung dazu.

00:01:47: Denn mein späterer Gast gleich hat sich sehr intensiv damit beschäftigt und

00:01:51: an anderer Stelle schon sehr viel dazu gesagt.

00:01:53: Und später, das will ich an dieser Stelle noch vollenden, 1981 ging Bourdieu

00:01:59: dann mit einem Lehrstuhl ans Collège de France. So, das kurz zur Einleitung.

00:02:05: Das ist die Person, über die wir heute sprechen möchten.

00:02:07: Und deswegen freue ich mich sehr, dass ich hier zu Gast habe Professor Franz Schultheis.

00:02:13: Er studierte zunächst in Freiburg und in Nancy und er promovierte in Konstanz

00:02:18: an der Universität. Und da habe ich ihn so ungefähr um, ich glaube,

00:02:22: zwölf Jahre verpasst, sonst hätte ich vielleicht auch bei ihm studieren können.

00:02:26: Ich habe nämlich mein Studium 2001 in Konstanz begonnen, knapp vorbei sozusagen.

00:02:32: 1992 begann Professor Schultheiß die Zusammenarbeit mit Bourdieu.

00:02:36: Das heißt, er kennt ihn vermutlich besser als niemand sonst heutzutage.

00:02:42: Er hat auch 1994 bei ihm habilitiert und seit 2019 ist er eben Senior-Professor

00:02:48: an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen bei uns mit der Senior-Professur

00:02:53: des Kunstfeldes und der Kreativwirtschaft.

00:02:56: Herzlich willkommen in der Sendung, Herr Schultheis. Vielen Dank für die Anladung.

00:02:59: Herr Schultheis, wir wollen natürlich über diesen wichtigen Menschen ein bisschen was erfahren.

00:03:05: Vielleicht können Sie uns mal ein bisschen erklären oder in Erinnerung rufen,

00:03:10: wie Sie ihn eigentlich selbst kennengelernt haben. Wie war das denn das erste Mal?

00:03:14: Ja, das erste Mal war schon relativ typisch für Bourdieus' Einstellung, sein Sozialverhalten.

00:03:20: Ich kam von der Uni Konstanz, hatte etwas die Nase voll von meinem Lehrstuhl, wo ich tätig war.

00:03:29: Er hatte gerade die Promotion abgeschlossen und dann habe ich über einen bekannten

00:03:35: Zugang zu Bourdieu gefunden, an der Col de Ocetut, die sie schon zitiert hatten.

00:03:40: Und bei der Vorstellung beim ersten Gespräch sagte ich eben,

00:03:44: dass ich doch sehr frustriert war und gerne mal in einem neuen Kontext arbeiten

00:03:48: würde und dann sagte er, dann gehen Sie doch einfach eine Etage runter,

00:03:51: da sitzt der Bernd Schwibs, der kümmert sich um Stipendien der Bosch-Stiftung

00:03:55: und ich schreibe Ihnen einen Brief,

00:03:57: dass Sie hier bei mir dann als Forschungsassistent tätig sein können.

00:04:03: An einem Tag wurde das gemacht und ich hatte ein Jahresstipendium und war dann

00:04:08: bei Bourdieu eben im Team mit drin.

00:04:11: Das war 1987 und bis zu seinem Tod, also gut 15, 16 Jahre Dauer,

00:04:19: habe ich dann wirklich immer intensiver mit ihm zusammengearbeitet.

00:04:23: Ich habe zunächst mal seine Bücher ins Deutsche übersetzt und herausgegeben

00:04:28: in meiner Reihe bei Universitätsverlag Konstanz,

00:04:31: habe dann auch Projekte mit ihm

00:04:33: durchgeführt und auch sehr viele Forschungsreisen gemacht und so weiter.

00:04:39: Also es war dann eine sich immer weiter intensivierende Beziehung,

00:04:44: sowohl arbeitsmäßig als auch freundschaftlich.

00:04:47: Hatte er denn da schon einen Ruf? Also als Sie das Stipendium erhalten haben,

00:04:51: haben Sie gedacht, oh, beau dieu? Oder haben Sie da ihn ganz frisch kennengelernt?

00:04:55: Ich hatte schon sein Buch gelesen, Die freien Unterschiede. Das wurde schon

00:04:58: in Deutschland heftig diskutiert. Und er hatte also schon den Eindruck,

00:05:03: dass es doch ein ganz besonderer Denker und Mensch war.

00:05:06: Und das hat sich dann sehr schnell bestätigt. Es war schon etwas angsterregend,

00:05:12: weil er doch eine international sehr sichtbare, herausgehobene Person war.

00:05:17: Aber im direkten Umgang, völlig unprätentiös, ohne irgendeine Arroganz,

00:05:23: sehr zuvorkommend, sehr umgänglich.

00:05:26: Das hat mich dann erstmal überrascht und auch beruhigt und dann in der weiteren

00:05:31: Arbeit war es eben sehr, sehr anregend,

00:05:35: an seinen Kursen teilzunehmen, an seinen Seminaren, wo sehr viele Doktoranden

00:05:39: dann auch kamen aus der ganzen Welt und ihn dann immer in Aktion zu erleben

00:05:43: zu den unterschiedlichsten Themen, was einen dann überraschte als Teilnehmer

00:05:47: an diesen Seminaren, war die unglaubliche.

00:05:50: Kompetenz auf egal welchem Terrain, bei welchem Gegenstand auch immer,

00:05:55: er mit einem sehr scharfen soziologischen

00:05:58: Blick sofort das Wesentliche erkennen konnte und den Leuten,

00:06:03: eine Frau arbeitete über die Kultur der Tennisklubs in Frankreich,

00:06:08: ein anderer nebenan über Jazz in einem anderen Land und so weiter.

00:06:13: Und zu jedem dieser Themen hatte er etwas Interessantes zu sagen und motivierte

00:06:18: die Leute, dann wirklich auch am Ball zu bleiben.

00:06:21: Er ist aber auch als politischer Akademiker bekannt. Also er hat sich ja auch geäußert.

00:06:27: Möglicherweise auch, weil er eben auch den Krieg erlebt hat,

00:06:30: oder? Haben Sie das auch gespürt, dass er da eine streitbare Person war?

00:06:35: Ja, er hat als junger Mann sehr viel geboxt und er war Rugby-Spieler.

00:06:41: Und Rugby ist ja nun keine sehr zarte Sportart.

00:06:44: Und dieses Kämpferische, das sah man ihm auch an.

00:06:48: Und als er gegen seinen Willen nach Algerien geschickt wurde,

00:06:52: er war gegen den Kolonialkrieg, gegen Kolonialismus, hat er eben diese Situation

00:06:57: dann gleich ins Positive gewendet, indem er sagte,

00:07:01: jetzt setzt man mich da in eine Schreibstude.

00:07:03: Als Normalian, das Abgänger der Elite-Hochschule, nahm man ihn für den Schreibdienst

00:07:08: und für also intellektuelle Tätigkeiten.

00:07:11: Und dann nutze ich doch einfach diese Zeit, um sozusagen eine.

00:07:16: Politisch engagierte Schrift über Algerien zu verfassen.

00:07:20: Und er machte dann sein erstes Buch, das durchaus auch als Waffe der Kritik

00:07:26: am Kolonialismus von ihm gemeint war.

00:07:28: Und darauf folgten dann, nachdem der Militärdienst fertig war.

00:07:33: Führte er eine ganze Reihe unterschiedlicher Studien im Feld,

00:07:37: in Algerien, wo er geblieben ist.

00:07:39: Er hatte eine Anstellung an der Fakulté de Lett, an der Uni in Algier.

00:07:45: Und er nutzte dann diese Tätigkeit, um, wie er sagte, die Kultur der Algerier

00:07:52: zu erforschen, von der die Franzosen sagten, dass es die gar nicht gab.

00:07:56: Also diese arrogante Haltung der westlichen Zivilisation gegenüber einem sogenannten

00:08:01: Entwicklungsland, einem intelligenten Land.

00:08:03: Und er hat eben sehr viel Arbeit da rein investiert, diese algerische Kulturgesellschaft

00:08:10: zu rehabilitieren und sie in ihrer ganzen Komplexität überhaupt den Franzosen

00:08:16: zu Hause sichtbar zu machen.

00:08:18: Und da begann eigentlich sein politisches Engagement auch unter anderem durch

00:08:24: die Analyse der kolonialen Gewalt an ein Viertel der algerischen Bevölkerung,

00:08:29: die aus ihren Häusern vertrieben wurden und in Umgruppierungslagern interniert wurden.

00:08:34: Und er hat mit seinen Studien also auch geholfen, diese Keultaten.

00:08:39: Nicht nur mit Waffen kann man Kolonialismus betreiben und Menschenzerstörung,

00:08:43: sondern auch indem man sie entwurzelt. Das war sein Kernbegriff.

00:08:47: Aber dann hat er längere Zeit doch eher im akademischen Betrieb.

00:08:53: Universitäre Soziologie betrieben, gelehrt und geforscht, viele,

00:08:56: viele Bücher geschrieben. Das ist unglaublich, wenn man sich seine Liste anschaut.

00:09:00: Und im Jahre 1989 hat man ihm ein Forschungsprojekt angetragen.

00:09:07: In Frankreich herrschte damals die Diskussion über le malaise,

00:09:12: das Unbehagen der Bevölkerung. Das sagt man heute wieder.

00:09:15: Die Gelbwesten vor ein paar Jahren hatten das. Es rührte sich etwas in der französischen

00:09:20: Bevölkerung und die Regierung wollte wissen, woher kommt denn diese Malle ist, dieses Unbehagen.

00:09:26: Und er hat dann ein Projekt begonnen, das zu der Studie Das Elend der Welt führte, La Miseur du Monde.

00:09:32: Und diese Studie, die auf tiefen Interviews mit Franzosen unterschiedlichster

00:09:38: Milieus, unterschiedlichster Berufsgruppen beruht, machte eben deutlich,

00:09:42: was gesellschaftliche Leiden denn eigentlich sind, wie vielfältig das ist.

00:09:46: Und dieses Buch hat die Bevölkerung sehr stark aufgewühlt. Er hatte einen unglaublichen Erfolg damit.

00:09:53: Es war im ersten Jahr hunderttausendmal verkauft. Ein Buch von tausend Seiten

00:09:56: Soziologie, das muss man erstmal machen.

00:09:58: Und danach wurde er 1995, als er mit dem Zug an der Garde Lyon ankam,

00:10:06: er kam aus seiner Heimat in Bern, im tiefen Süden Frankreichs in der Provinz.

00:10:10: Da war gerade ein großer Arbeitskampf, ein Riesenstreik, der zwei, drei Wochen dauerte.

00:10:17: Und er wurde dann von den Gewerkschaftern, die da standen, auf dem Vorplatz

00:10:21: der Garde Lyon gefragt, Möchten Sie nicht auch für uns das Wort ergreifen,

00:10:25: an dem La Miserie du Monde ja genau diese Thematik behandelt hatte?

00:10:29: Da hielt dann eine sehr berühmt gewordene Rede für die Gewerkschafter und ihren Streik.

00:10:38: Und da entstand eine starke neue Politisierung, wie ein Aufflammen schon dieses frühen Engagements.

00:10:46: Und da war ich auch sehr stark beteiligt mit ihm. Wir gründeten eine Bewegung, die Raison d'agir,

00:10:52: wie es heißt, Gründe zum Handeln, wo quasi diese kritische Soziologie,

00:10:58: die er entwickelt hatte, eine Diagnose des Unbehagens an der Gesellschaft,

00:11:02: einfloss in eine neue Form von engagierter Forschung.

00:11:07: Und es gab eine Bruchreihe, die auch Reson d'Agir hieß, Gründe zum Handeln,

00:11:12: wo Forscher mit ihren Spezialgebieten sozusagen in lesbare Bücher,

00:11:19: kleinen Umfangs, 100 Seiten maximal, investierten.

00:11:22: Die wurden an Bahnhofkiosks verkauft für 5, 6 Euro.

00:11:27: Hatten einen Riesenerfolg, manche von denen 130.000 Mal verkauft.

00:11:32: Und dadurch entstand eine Form des Wissenstransfers aus der Forschung,

00:11:38: soziologisch, in die öffentliche Diskussion.

00:11:41: Das hatte sehr viel Erfolg und Bourdieu wurde dann eingeladen in vielen Ländern

00:11:46: auch für sozusagen ein interessiertes Publikum an gesellschaftskritischer Soziologie

00:11:52: und das hat ihn dann eben auf andere Art und Weise wieder unterstützt.

00:11:57: Aufmerksamkeit hat es ihm gegeben. Und das ist dann ein Bordeaux,

00:12:01: von dem sich andere Leute distanzierten dann und sagten, ja,

00:12:04: vielleicht hat das irgendeine Alterskrankheit, dass er jetzt beginnt,

00:12:09: in die Politik einzugreifen.

00:12:10: Aber er nennt das eine soziologische Intervention.

00:12:14: Und er sagte dann, letztendlich, wenn ich die gesellschaftlichen Widersprüche

00:12:20: aufdecke und sozusagen den Finger auf die wunden Punkte lege,

00:12:24: dann muss ich dies auch in die Öffentlichkeit tragen und Darstellung beziehen.

00:12:28: Und so begann dann der zweite Prozess einer Politisierung bei Baudieu.

00:12:34: Sie haben gerade gesagt, die feinen Unterschiede wurden heftig diskutiert, als es rauskam.

00:12:38: Was war denn der Paradigmenwechsel, der da stattgefunden hat oder die Herausforderung?

00:12:43: Weil ich habe ja eingangs schon gesagt, es ist ein Standardwerk der Soziologie,

00:12:47: damit wächst der Soziologiestudent auf und es ist ja auch irgendwo schon etabliert.

00:12:52: Aber was war denn damals so die Neuheit, mit der die Gesellschaft konfrontiert

00:12:56: war? Ja, es hat bis dahin unterschiedliche Versuche gegeben.

00:13:02: Eine Soziologie der Gesellschaft, der Klassengesellschaft zu etablieren.

00:13:07: Da gab es die unterschiedlichen Varianten.

00:13:10: Mittlerweile war nur die Idee des Proletariats als revolutionärem Subjekt noch abgeflacht.

00:13:16: Alleine das Proletariat geriert mehr und mehr zur Minderheit.

00:13:20: Die Mittelschichten, Angestellten gewannen soziodemografisch die Oberhand.

00:13:27: Und insofern liefen diese Klassentheorien ins Leere.

00:13:30: Und Bourdieu kam dann mit einer kulturalistischen Klassenanalyse,

00:13:36: in dem er aufzeigte, wie letztendlich die soziale Position von Menschen im sozialen

00:13:42: Raum einhergeht mit einem ganzen Ensemble an Dispositionen.

00:13:49: Geschmacklichen zum Beispiel, wie man wohnt, welche Zeitung man liest,

00:13:53: wenn man überhaupt liest, geht man in Museen, ja oder nein,

00:13:57: mag man Kunst, Kunstwerke, ja oder nein, was sind die politischen Meinungen

00:14:01: der Leute, was konsumieren sie im Alltag und so weiter.

00:14:04: Und er hat dann ein System entwickelt, eine Methode, die nennt er Korrespondenzanalyse,

00:14:10: wo er den sozialen Raum...

00:14:13: Er hat sehr stark visuell gearbeitet, worüber wir momentan auch hier forschen.

00:14:18: Und mit dieser visuellen Methode schaffte er es, den sozialen Raum abzubilden,

00:14:24: die Position, die Menschen in ihm einnehmen, die Berufe der unterschiedlichsten

00:14:28: Art in diesem Raum zu positionieren.

00:14:32: Und dann mit der Korrespondenzanalyse aufzuzeigen, wie groß die Wahrscheinlichkeit

00:14:38: ist, dass ein Hochschullehrer eine abstrakte Kunst mag,

00:14:44: das wohltemperierte Klavier, dass er selbst Hobbyfotograf ist und ein Volvo

00:14:50: fertig. Ich vereinfache jetzt, um einfach zu sagen.

00:14:53: Und dass diese Kombinationen von Geschmäckern in den unterschiedlichsten Bereichen

00:14:57: bis hin zur Kulinarik keinen Zufall darstellen, sondern dass dahinter das steckt,

00:15:02: was Bourdieu ein Habitus nennt.

00:15:04: Und das ist eines seiner wichtigsten Konzepte.

00:15:07: Der Habitus ist das Ensemble an Disposition kognitiv-mentaler Art,

00:15:13: ästhetischer Art, moralischer Art oder verhaltensmäßiger Art,

00:15:17: die von einem Individuum im Laufe des Sozialisationsprozesses verinnerlicht

00:15:23: werden, durch Sozialisation weitergegeben werden.

00:15:27: Wodurch eben auch wieder die klassenmäßige Abstammung sich dann niederschlägt, dass Menschen...

00:15:35: Gleichen oder ähnlichen Herkunft in ihren unterschiedlichen Verhaltensweisen

00:15:40: und in ihren Denken sich ähnlicher sind, also die Menschen aus unterschiedlichen Herkünften.

00:15:47: Und das konnte er empirisch nachweisen. Das wäre der wichtige Punkt.

00:15:51: Das ist also keine abstrakte Konstruktion, sondern es ist ein sichtbar gemacht,

00:15:55: eben bildlich gemachtes, sozusagen ein Niederschlag soziologischer Analyse,

00:16:02: die auch Nichtsoziologen sehr einleuchtet.

00:16:07: Zu dieser visuellen Art gehört auch wahrscheinlich das große Fotoarchiv,

00:16:11: das Sie ja auch aufgearbeitet haben, verwalten und auch ausstellen.

00:16:16: Darüber wollen wir nicht zu lange sprechen. Es gibt nämlich ein sehr schönes

00:16:18: schriftliches Interview, das im Newsroom der Zeppelin-Universität zu lesen ist.

00:16:22: Da möchte ich alle Hörerinnen und Hörer dazu einladen. Das verlinken wir auch,

00:16:26: dann kann man es auch nachlesen.

00:16:27: Aber diese visuelle Methode, das ist das Abbilden dessen, Also was man einfach

00:16:32: sieht. Ist das der Nachweis, der erbracht wurde?

00:16:34: Also Bourdieu hatte lange verheimlicht, dass in Algerien rund 3000 fotografische

00:16:40: Zeugnisse niedergelegt hatte.

00:16:43: Er hatte sich eine spezielle Kamera extra in Deutschland gekauft,

00:16:46: mit der er sehr gute Bilder machen konnte, eine Ecoflex.

00:16:48: Und er hat die dann in Algerien systematisch benutzt und hat eben eine visuelle Soziologie betrieben.

00:16:55: Das heißt, er wollte eben den Habitus bildlich fassen, in Aktion,

00:17:00: Frauen bei der Arbeit Männer, bei der Arbeit Männer, die das männliche Ehrprinzip

00:17:04: NIF sozusagen durch ihre Haltung den anderen präsentieren.

00:17:09: Frauen, die in gebückter Haltung Aufgaben, die die Gesellschaft ihnen zuweist,

00:17:13: weil es Frauen sind, die Männer der aufrechte Gang, den Frauen diese andere

00:17:18: Position, eine körperliche Hexis, die ihnen sozusagen auf den Leib geschrieben war.

00:17:23: Und er fotografierte das alles und wollte, wie er sagte, seine theoretischen Konzepte.

00:17:30: Visualisieren, verbildlichen. Also der Fotoapparat diente ihm dazu,

00:17:34: seinen soziologischen Blick zu materialisieren und zeigen zu können.

00:17:40: Und dann hat er darauf verzichtet, er hatte auf verschiedenen seiner Bücher

00:17:43: solche Fotografien für die Cover verwendet, hat aber nie seinen Namen dazu geschrieben.

00:17:48: Er hat das irgendwie unterm Teppich gelassen.

00:17:51: Und diese Bilder blieben in Kartons. Und viele sind verloren gegangen.

00:17:56: Und als ich sein Buch, auf Deutsch die zwei Gesichter der Arbeit aus dem Französisch

00:18:01: ins Deutsche übersetzt hatte und

00:18:03: mit ihnen darüber sprach, wie ich das im Deutschen rüberbringen wollte.

00:18:08: Und dann sagt er, dann schauen Sie sich da auch mal die Bilder dazu an.

00:18:11: Dann sagte ich ihm, ja, welche Bilder, weiß ich nichts von.

00:18:14: Dann sagte ich, ich lasse sie Ihnen vorbereiten. Und dann hat er mir die übrig

00:18:18: gebliebenen, erst mal 700, 800, später kamen neue dazu, vorbereiten lassen.

00:18:24: Und ich habe ihn dann getränkt, er müsse diese Bilder unbedingt zeigen.

00:18:28: Das ist ein Teil seiner Soziologie, seiner Forschung.

00:18:31: Und er hat dann eingewilligt und dann begann ein langer Prozess erst mal sondierend.

00:18:36: Wo kann man das zeigen mit seiner Einwilligung?

00:18:40: Zunächst sollte es in Neuchâtel sein, wo ich damals Prof war.

00:18:44: Und dann ist er verstorben.

00:18:47: Und wir hatten noch erst mal provisorisch eine Beziehung zu der Revue Kamera

00:18:53: Austria in Graz hergestellt.

00:18:54: Und mit Christine Friesing-Helly, die die Direktorin von Kamera Austria war.

00:19:00: Habe ich dann gemeinsam das Projekt einer...

00:19:04: Eines Archivs Bordiös Fotografie entwickelt. Und wir haben dann,

00:19:09: ich schätze, etwa 30 bis 40 Ausstellungen organisiert.

00:19:14: Das reichte vom Institut du Monde Arab in Paris bis zur Deichtorhalle in Hamburg,

00:19:20: bis zur Photographer's Gallery in London.

00:19:22: Und es ging um die ganze Welt, Korea, Japan und so weiter.

00:19:26: Und dadurch wurde eben ein anderer Bordiös eben auch noch sichtbar gemacht.

00:19:32: Der sich bis dahin versteckte. und der eine Ergänzung zu seinen Diskursen damit auch erreichte.

00:19:39: Und dazu sind verschiedene Bücher erschienen. Gerade hier an der ZU haben wir mit Charlotte Hüser,

00:19:46: momentan auch Lili Schreiber, arbeiten wir sehr intensiv an dieser visuellen

00:19:50: Soziologie und haben das jetzt noch ausgeweitet, weil Bourdieu in seiner Fachzeitschrift

00:19:56: Act de la Recherche en Sciences Social die visuelle Methode,

00:20:00: Verwendung von Fotos, aber auch Skizzen und visuellen Dokumenten aller Art,

00:20:04: sozusagen kollektiviert hat.

00:20:07: Also alle Autoren waren angehalten, doch auch visuelle Elemente,

00:20:11: so gut es ging, mit einzubringen.

00:20:13: Und das ist momentan ein DFG-Projekt, das wir hier durchführen, wir drei.

00:20:17: Und jetzt kommt eben hinzu, dass wir damit auch hinausgehen,

00:20:22: auch aus der ZU, um auch hier Präsenz zu zeigen und machen eben im nächsten

00:20:28: Monat eine Ausstellung in Bielefeld in der Kunsthalle,

00:20:32: wo wir einen Ausschnitt aus Bordeaux's Fotoarchiv, nämlich zu Geschlechterbeziehungen.

00:20:38: In der Kunsthalle zeigen und parallel dazu im Vorlesungsraum,

00:20:43: der Kunsthalle ist ein großer Raum für 200-300 Leute, ein Kolloquium durchführen.

00:20:48: Wo wir mit tatsächlich etwa 200-250 Soziologen aus ganz Deutschland rechnen,

00:20:53: die zum Thema Geschlechterbeziehungen forschen, also Geschlechtersoziologie,

00:20:58: und sozusagen an einem Ort sowohl in Iskosbordieu mit seinen akademischen Schriften

00:21:05: zu dieser Thematik und was Leute heute daraus machen.

00:21:08: Und auf der anderen Seite den visuellen Bourdieu mit den Fotos,

00:21:12: die die Geschlechterbeziehung widerspiegeln.

00:21:15: Das wird dann jetzt in Kürze stattfinden.

00:21:17: Und wir möchten auch das Datum natürlich an dieser Stelle nennen.

00:21:20: Das ist der 19. und 20. November in Bielefeld.

00:21:24: Unter dem Titel Bourdieu Lectures, Thema Gesellschaft, Herrschaft, Visualität.

00:21:29: Also wer daran Interesse hat, man muss einfach nur Bourdieu Lectures googeln

00:21:33: und dann findet man das schnell.

00:21:35: Da wird es wahrscheinlich viel um auch die Person Bourdieu gehen. Ich frage mich jetzt,

00:21:41: Wenn er eine Gesellschaft damals so treffend beschrieben hat und seither sich

00:21:47: die Gesellschaft so rasant gewandelt hat, Stichwort Informationsgesellschaft,

00:21:52: künstliche Intelligenz, ist das eine neue Herausforderung?

00:21:56: Hat sich die Gesellschaft so schon verändert, dass man das mit Baudieu zusammenführen muss?

00:22:02: Oder gibt es da vielleicht auch neue Thesen, neue Forschungsfelder,

00:22:07: ob das, was er sich damals, seine Treffenanalyse, ob das heute auch noch zutreffend ist?

00:22:11: Ja, also sozialer und ökonomischer Wandel, kultureller Wandel findet permanent statt.

00:22:17: Und manchmal in besonders rasanter Weise und disruptiv.

00:22:23: Das haben wir heute durch neue Techniken. Aber Baudieu hat selbst auch einen

00:22:28: unglaublich rasanten Wandel erlebt.

00:22:30: Die Tronte-Gloriöse, die Wirtschaftswunderzeit in Frankreich,

00:22:34: die Verhältnisse in jeder Beziehung erschüttert haben.

00:22:38: Er hat das genau auch untersucht in seiner Heimat, dem bäuerlichen Bejahnen,

00:22:42: wo er am Beispiel des erzwungenen Zölibats von Bauern,

00:22:47: weil Frauen nicht mehr Bauern heiraten wollten, Bäuerinnen werden wollten,

00:22:52: sondern in die nahegelegene Stadt gingen als Sekretärin. in.

00:22:57: Andere Lebenswelten hinein und er hat das dramatische Schicksal dieser eigentlich

00:23:03: Erben von Höfen, die sich nicht reproduzieren konnten, die keine Familie gründen konnten.

00:23:10: Da hat er genau den Wandel, einschneidenden Wandel schon sehr intensiv untersucht.

00:23:15: Aber zur Gegenwart jetzt, was passiert momentan?

00:23:18: Dass die Gesellschaft auch schon vor zehn Jahren auch in Frankreich war,

00:23:23: nicht mehr die war, die Baudieu empirisch erforscht hat.

00:23:28: Es sind neue Berufe hinzugekommen. Die gesellschaftliche Skratifizierung hat sich geändert.

00:23:33: Neue Techniken sind entstanden, die Nebenstile sind nicht mehr dieselben und so weiter und so fort.

00:23:37: Aber die strukturierende Wirkung sozialer Ungleichheiten, auch Herrschaftsbeziehungen,

00:23:44: wenn wir jetzt nochmal die Geschlechterbeziehung nehmen, es hat eine riesige

00:23:48: Bewegung der Emanzipation gegeben.

00:23:50: Aber, da würde Bourdieu sagen, ist das Glas halb voll oder halb leer,

00:23:54: haben wir nicht immer noch fortbestehende geschlechtsspezifische Unterschiede.

00:23:59: Jetzt nicht nur, dass Frauen im Durchschnitt 20 Prozent weniger verdienen,

00:24:04: sondern dass ihr Habitus noch stärker gekennzeichnet durch Zurückhaltung,

00:24:10: eine eher stärkere Bescheidenheit,

00:24:13: eine eher stärkere Tendenz zur Sorge für andere und so weiter.

00:24:17: Bei Männern eben weniger ausgeprägt, diese Seite,

00:24:21: dann dazu führt, dass in Kommunikationen von Mann und Frau eben in der Regel

00:24:26: häufig asymmetrische Beziehungen entstehen, die dann zu dem,

00:24:30: was Bourdieu in einem Buch La Domination Masculine nannte, männliche Herrschaft,

00:24:35: heute in weicherer, nicht mehr so berücksichtigt.

00:24:39: Massiver Form führen, aber doch einen Fortbestand.

00:24:43: Das heißt also, was wir auch da in Bielefeld thematisieren wollen, ist.

00:24:47: Wie äußert sich heute männliche Dominanz, männliche Herrschaft in fortgeschritten

00:24:53: demokratischen Gesellschaften, wo man ja eigentlich meint, dass wir das alles hinter uns hätten.

00:24:59: Und da würde Bauduille schlicht sagen, bildet euch das nicht ein.

00:25:03: Vermutlich sogar das Gegenteil der Fall. Weil mit dem Aufkommen einer dominant

00:25:08: rechten Gegenbewegung merkt man ja auch wieder diese toxische Maskulinität,

00:25:16: Antifeminismus, das wird in den sozialen Medien auch wieder populärer.

00:25:20: Ich will damit nicht sagen, es ist Mainstream, aber es gibt mehr Menschen,

00:25:23: die sich jetzt damit auszeichnen wollen und das wieder rückabwickeln wollen.

00:25:27: Also die Herausforderung, der Druck wird größer.

00:25:30: Man kann heute wieder Dinge äußern, die man vor 10, 15 Jahren nicht in den Weg genommen hätte.

00:25:36: Und wenn so etwas also gesellschaftsfähig wird, im öffentlichen Raum thematisiert

00:25:39: werden kann, ist das schon ein Anzeichen dafür, dass es auch tatsächlich empirisch möglich sein kann.

00:25:45: Und tatsächlich sind die gesellschaftlichen Verwerfungen,

00:25:48: das Aufkommen populistisch-rechtspopulistischer Bewegung usw.

00:25:53: Genau die Thematik, die Bordieu mit das Elend der Welt ja auch untersuchen wollte.

00:25:56: Welche Formen von Frustrationen, von Enttäuschung in Bezug auf die eigene Lebensführung,

00:26:04: Pläne, die man hatte, die man nicht realisieren kann, scheitern,

00:26:07: wenn die eigenen Kinder scheitern, ist das auch eine solche frustrierende Erfahrung.

00:26:11: Und was Bourdieu eben in diese Diskussion bereichernd mit hineinbrachte,

00:26:17: ist, dass er eben verschiedene Formen des Elends identifizierte.

00:26:21: Nicht nur das materielle Elend, wir haben immer noch einen großen Teil von Menschen,

00:26:26: die unter der Armutsgrenze leben.

00:26:28: Jedes fünfte bis sechste Kind zum Beispiel in Deutschland.

00:26:31: Aber es gibt noch ein anderes Elend, das ist ein, wie er das nennt,

00:26:35: positionspezifisches Elend.

00:26:37: Also wenn ich in sozialen Beziehungen stehe, wo ich ständig Druck ausgesetzt

00:26:42: werde, zum Beispiel als Lehrer, eigentlich ja doch ein sehr ehrenwerter Beruf,

00:26:46: von dem man sagt, ist mein Lebensgang gesichert.

00:26:48: Aber er hat Lehrer interviewt und wo ihm quasi vor Augen geführt wurde,

00:26:54: wie stark Menschen dieser Mittelschichten auch an einem spezifischen Elend ihres

00:27:00: Berufsstandes auch leiden können.

00:27:01: Das hat er in einer Palette von 60, 70 verschiedenen Sozialfiguren,

00:27:08: lebenden Menschen, aber durch tiefen Interviews sehr lebendig,

00:27:12: sehr plastisch vor Augen geführt.

00:27:14: Er wäre heute nötig, wir hätten genug zu tun, um die aktuelle Gesellschaftsdiagnose

00:27:20: zu betreiben und zu beschreiben.

00:27:24: Offensichtlich aktueller denn je, weil genau, die Analyseverfahren sind dieselben.

00:27:30: Nur die Förmchen, die Ressourcen haben sich verändert.

00:27:34: Zumal ja auch, ich habe jetzt zum Beispiel in letzter Zeit, beschäftigen wir

00:27:38: uns ja sehr intensiv, fast nur noch mit künstlicher Intelligenz und jetzt habe

00:27:42: ich neulich in einem Artikel der Zeit einen KI-Test.

00:27:47: Forscher, Visionär, sage ich mal, sagen hören, dass er davon ausgeht,

00:27:52: dass wir uns alle ja auch irgendwann mit Chips mit der KI verbinden werden.

00:27:55: So, das ist jetzt eine Science-Fiction-Vorstellung, aber sie ist sicherlich

00:27:58: auch nicht ganz von der Hand zu weisen, weil es gibt immer irgendwelche Menschen,

00:28:00: die sowas ausprobieren.

00:28:02: Und dann habe ich im gleichen Zuge, das war jetzt in den letzten Wochen ja auch

00:28:07: omnipräsent, mit dem Konflikt im Gazastreifen mir auch immer gedacht.

00:28:13: Mit was für zwei völlig unterschiedlichen Lebensrealitäten Menschen auf der Erde beschäftigt sind.

00:28:19: Die einen denken darüber nach, sich mit der KI zu verbinden und die anderen

00:28:22: möchten gerne einfach nur fließend Wasser haben.

00:28:24: Und die Digitalisierung wird diesen Trend der Unterschiede, der Spaltung der

00:28:29: unterschiedlichen Lebenswelten ja noch weiter vorantreiben, oder?

00:28:32: Also das ist ein Gefühl. Natürlich ist das sowohl international,

00:28:36: interkulturell, zwischen den ärmsten Regionen, die da völlig abgehängt sind,

00:28:41: und unseren westlichen kapitalistischen Ländern, wird die Kluft immer größer,

00:28:46: aber auch innerhalb der Gesellschaft.

00:28:48: Also zwischen Menschen, die sozusagen von dieser neuen Ressource,

00:28:53: ist ja auch eine kognitive Ressource, profitieren können und vielen,

00:28:58: vielen anderen befürchten, die abgehängt werden.

00:29:02: Und dadurch wird wieder eine neue Diskrepanz entstehen zwischen sozusagen einer

00:29:08: neuen technisch-kulturellen Elite,

00:29:10: die sich all dessen bedienen kann und Menschen, die quasi digitale Analphabeten

00:29:15: werden und dann keinen positiven Anteil haben.

00:29:19: Die werden quasi das Bodenpersonal sein für die Höhrenflieger.

00:29:25: Und die das auch gar nicht mehr aus sich selbst heraus erreichen können.

00:29:29: Wir hatten ja trotzdem über die Bildung, über die Schulprozesse,

00:29:33: gab es immer noch eine Möglichkeit, auch von bildungsfernen Schichten nach oben zu kommen.

00:29:39: Es war eine Frage der Leistung und natürlich auch eine gewisse Frage der Ressource, des Kapitals.

00:29:44: Aber es war irgendwie durchlässig. Aber manchmal denke ich mir,

00:29:48: dass in den ganzen abenden Gegenden mit dieser Digitalisierung,

00:29:50: wo man ja auch schon ein Grundverständnis haben muss, überhaupt gar nicht mehr hinterher kommen kann.

00:29:57: Was die Aufstiegsmöglichkeiten in unseren demokratischen Gesellschaften angeht,

00:30:02: ist Bauduille ja das beste Beispiel dafür.

00:30:04: Er kommt aus einer bildungsfernen Familie in der hintersten Provinz und hat

00:30:08: es geschafft, bis in den Olymp des ganzweschen Geisteslebens,

00:30:12: das Collège de France, das Sie schon erwähnt hatten, zu gelangen.

00:30:15: Also es gibt Durchlässigkeiten, statistisch, probabilistisch gesehen allerdings

00:30:20: sehr beschränkte. Also er hat auch in allen Studien etwa zur kulturellen Praxis

00:30:25: immer wieder aufgezeigt, wer sind denn die Museumsbesucher.

00:30:29: Und bei seinen Befragungen kommt dann eben raus, dass 95 Prozent eine höhere

00:30:32: Bildung haben. Wo ist der Rest?

00:30:35: Und das beschäftigte ihn lebenslang, weil das ja auch sein eigenes Schicksal

00:30:38: war. Zu fragen, wie gehen denn

00:30:41: diese gesellschaftlichen Reproduktionen von Ungleichheiten über die Bühne.

00:30:45: Aber es ist tatsächlich so, dass mit diesen neuen, immer komplizierteren,

00:30:51: komplexeren Techniken, die wir uns aneignen müssen, um sie auch wirklich positiv

00:30:57: bedienen zu können, die Kluft weiter auseinander geht.

00:31:00: Und wir werden wahrscheinlich immer weiter in eine Gesellschaft der Ungleichverteilung

00:31:08: aller Lebenschancen gelangen.

00:31:10: Lebenschancen, was zum Beispiel die Mortalität angeht, die Lebensdauer,

00:31:15: wo wir wissen, dass ein Beamter heute in Deutschland sechs Jahre länger lebt als ein Arbeiter.

00:31:20: Und diese Dinge werden sich auf allen Ebenen des Alltagslebens, des Konsums,

00:31:25: der Möglichkeit, ein Eigenheim zu bekommen oder einen für sinnhaft gehaltenen Beruf und so weiter,

00:31:34: in all diesen Bereichen werden wir erwartbar einen noch stärkeren Niederschlag

00:31:39: von sozialer Ungleichheit erleben.

00:31:43: Aus der Erinnerung heraus, wie würden Sie Bodhi einschätzen,

00:31:46: wenn er heute leben würde?

00:31:47: Würde er sagen, das schlägt mich nieder, das macht mich traurig,

00:31:53: weil ich ja das Problem sehe und erkenne und trotzdem wird es immer schlimmer?

00:31:57: Oder würde er sagen, okay, das ist genau das, worum es geht.

00:32:01: Jetzt packen wir es an, den Finger in die Wunde legen.

00:32:03: Wäre er heute noch der streitbare Mensch? Absolut. Bin ich sicher, ja.

00:32:07: Er wäre dann schon eine ganze Ecke weggegangen.

00:32:10: Älter, ja. Also nochmal fast 25 Jahre dazu. Schwer vorstellbar,

00:32:15: wie er das mit 95 machen würde.

00:32:17: Aber er hatte eine unglaubliche Energie und ich hätte nie gedacht,

00:32:20: dass er so krank sein könnte, als er dann plötzlich verstarb innerhalb kurzer Zeit.

00:32:25: Wir hatten gerade noch die Zeit, die Bourdieu-Stiftung, die ich hier auch von der ZU aus leite,

00:32:30: mit den beiden Kolleginnen Charlotte Hüser und die Schreiber,

00:32:34: diese ins Leben zu rufen und zu versuchen,

00:32:38: über diese Stiftung auch den Geist Bourdieus auch in verschiedenen Bereichen,

00:32:43: Forschung und Diskurse, Publikation am Leben zu halten.

00:32:46: Ja, aber er wäre weiterhin genauso streitbar.

00:32:50: Er hätte unheimlich viel zu tun heute.

00:32:54: Wir versuchen, um einfach zu sagen, wie man auch im Geiste Bourdieu ist.

00:32:58: Wir hatten ja über die Publikation Forschen mit Bourdieu kurz gesprochen zu Beginn.

00:33:03: So wird die ganze Reihe heißen, die wir jetzt bei Transkript ins Leben rufen.

00:33:08: Ich versuche immer noch weiter mit Bourdieu zu forschen. Ich habe jetzt gerade

00:33:11: das dritte Buch, das ich zusammen mit Langzeitarbeitslosen geschrieben habe,

00:33:15: auf der Basis von, wie bei La Mise du Monde,

00:33:18: qualitative Interviews, die von diesen

00:33:21: Langzeitarbeitslosen mit anderen Langzeitarbeitslosen durchgeführt werden,

00:33:25: sozusagen diesem Geist kritischer Sozialforschung etwas am Leben zu halten und

00:33:30: auch diese Interviews in Büchern zu präsentieren, um einfach zu sagen,

00:33:34: die Geschichte ist nicht vorbei,

00:33:36: wir können, auch wenn Bodio nicht mehr ist, können wir doch diese besondere

00:33:43: Art und Weise, Soziologie zu betreiben, noch weiter fortsetzen.

00:33:47: Und dem soll auch das Kolloquium in Bielefeld dann dienen.

00:33:50: Worauf kann man sich denn da freuen? Vielleicht können Sie ein,

00:33:53: zwei Programmpunkte nennen oder womit werden Sie sich im Spezifischen beschäftigen?

00:33:57: Ja, es ist so, wir werden in zwei Räumen da unterwegs sein.

00:34:02: Ein Raum präsentiert das Fotografische Archiv zum Thema Geschlechterbeziehung,

00:34:06: Domination Maskulin und daneben werden wir tagen. Und das soll ineinander übergehen.

00:34:12: Und die Leute, die aus ganz Deutschland, zum Teil auch aus der Schweiz,

00:34:19: dorthin kommen, weil sie Geschlechtersoziologie betreiben, darüber forschen,

00:34:24: ganz unterschiedliche Themen,

00:34:26: Die werden eben immer einen Brückenschlag versuchen, zwischen dieser Grundthese,

00:34:31: Herrschaftssoziologisch an Geschlechter heranzugehen, werden die immer wieder

00:34:35: in neuer Art und Weise beleuchten.

00:34:38: Es gibt ein paar Kino-Speaker.

00:34:40: Wir arbeiten mit vier verschiedenen Unis zusammen, also Zeppelin-Uni mit der Podill-Stiftung.

00:34:46: Dann haben wir die Uni Bielefeld, wo Uli Bauer tätig ist, ein guter Kollege.

00:34:50: Und wir haben Uwe Bittlingmeier in Freiburg, auch Soziologe,

00:34:54: und einen Soziologen von der Akademie der Künste in Wien, Jens Kastner.

00:34:59: Und wir drei hier von der Zeppelin-Uni, wir sind so das Team,

00:35:04: das dann es auch auf sich nehmen muss, den Sammelband zu dieser Tagung nachher zu bearbeiten.

00:35:09: Was nicht immer ein sehr angenehmes Geschäft ist, weil, wie wir alle wissen,

00:35:15: Wissenschaftler dann nicht besonders diszipliniert sind.

00:35:18: Wenn man sagt, die Texte müssen bis dann und dann korrigiert vorliegen,

00:35:22: Und dann kann man nur noch beten und hoffen, dass das wirklich so funktioniert.

00:35:28: Ich habe ein ganz spannendes Argument vor ein paar Tagen gehört,

00:35:31: wo es um die letzten 20, 50 Jahre Gesellschaft ging.

00:35:36: Wir haben ja in einer Gesellschaft gelebt in den letzten 20 Jahren,

00:35:39: wo jedes Jahr alles ein bisschen besser geworden ist. Also nicht gut geworden

00:35:44: ist, aber ein bisschen besser.

00:35:45: Wir hatten einen Fortschritt und wenn man auf der Seite der Progressiven stand,

00:35:50: zum Beispiel gerade Emanzipation, dann war man immer auf der Seite der Guten,

00:35:55: der Verbesserung, des Fortschritts, des Progressiven.

00:35:58: Aber, und jetzt kam das spannende Argument, und es war alles so in dem Zusammenhang,

00:36:02: Trump, Druck von Rechts, Druck von Konservativ, Druck gegen die Progression.

00:36:09: Aber es wurde nie herausgefordert, weil man ja immer, weil man nichts zu verlieren hatte.

00:36:14: Aber jetzt hat man wieder was zu verlieren. Vor allem in Amerika,

00:36:17: wenn man sich äußert, kann man den Job verlieren, kann man Ansehen verlieren,

00:36:20: weil man fertig gemacht wird.

00:36:22: Es ist wieder ein Zustand, in dem man angegriffen wird.

00:36:25: Und die Person, die das geäußert hat, es war Barack Obama, der Ex-Präsident,

00:36:30: der hat aber gesagt, aber jetzt gilt es eben.

00:36:34: Also gerade jetzt, wo man wieder herausgefordert ist, ist das ja auch ein Moment

00:36:38: der Soziologie, wo man wieder herausgefordert ist, jetzt geht es auch um etwas.

00:36:41: Jetzt muss man wieder heraus.

00:36:43: Es ist bestimmt so, dass eine gesättigte Wohlstandsgesellschaft und Konsumgesellschaft

00:36:47: nicht zu gesellschaftskritischem Denken, zu soziologischer Reflexion besonders herausfordert.

00:36:53: Es sind Krisen, wo es Erschütterungen gibt, wo man auch gezwungen ist,

00:36:58: Position zu beziehen, Erstellung zu beziehen.

00:37:01: Und dann ist tatsächlich auch die Stunde der Soziologie gekommen in solchen

00:37:05: Krisen und sie hat eine Funktion auch zu erfüllen.

00:37:08: Sie steht natürlich selbst unter Beschuss. Also ich glaube kaum,

00:37:11: dass Herr Trump besonderer Liebhaber soziologischen Denkens ist.

00:37:16: Wer auch unter Beschuss steht, sind die Künste.

00:37:19: Wie die Wissenschaft braucht die Kunst, die Freiheit, nicht sanktioniert.

00:37:27: Zu werden und keine Zensur erfahren zu dürfen.

00:37:31: Und wenn es jetzt an diese Freiheit, diese Grundfreiheit geht,

00:37:35: die ja auch den gesamten öffentlichen Raum betrifft, die Presse ist direkt mit

00:37:39: betroffen, auch mit Zensur Maßnahmen,

00:37:42: dann müssten gerade Künstler und Wissenschaftler als Erste quasi auf die Barrikaden

00:37:47: gehen und diese Grundrechte verteidigen, ohne die sie keine Funktion erfüllen.

00:37:51: Wenn sie nur Diener des Staates oder der Kirche sind, dann kann man gleich einpacken.

00:37:55: Also ich denke auch, dass wir vielleicht, man kann es nur hoffen,

00:38:00: eine Renaissance jetzt kritischer Reflexivität über gesellschaftliche Verhältnisse

00:38:05: und daraus erwachsene Widerständigkeiten erfahren werden.

00:38:10: Da, wo die Herausforderungen, wird es wichtiger denn je. Deswegen,

00:38:13: Bourdieu, wichtiger denn je, spannender denn je. Kann man sagen, ja.

00:38:18: Wir werden jetzt so langsam am Ende anbelangt. Haben Sie denn,

00:38:22: was Sie sagen wollten, gesagt? Oder wollen Sie noch was loswerden zu den Bourdieu Lectures?

00:38:26: Ja, ich glaube, das Wichtigste ist gesagt. Wir machen diese Initiative mit diesen

00:38:33: vier Universitäten, gründen eine neue Reihe, die heißt Forschen mit Bourdieu.

00:38:39: Es kommt von einem Buch, das ich im Sommerfest publiziert habe,

00:38:42: das heißt eben auch Forschen mit Bordeaux und ist auch bei Transkript veröffentlicht.

00:38:46: Und dann kam uns in der Diskussion die Idee, welchen Titel sollen wir jetzt dieser Reihe geben?

00:38:52: Und ich habe dann Bordeaux zitiert, der immer sagte in Gesprächen,

00:38:57: hören Sie doch auf, mich zu zitieren, forschen Sie doch selber.

00:39:01: Und daraus resultiert jetzt dieser Titel, wir forschen mit Bordeaux Und wir

00:39:05: bringen in dieses Kolloquium Leute hinein,

00:39:09: die wirklich forschen mit Bourdieu und versuchen insbesondere Nachwuchswissenschaftlern,

00:39:15: auch noch die nicht promoviert sind,

00:39:17: die Möglichkeit zu geben, sich wissenschaftlich zu betätigen und an einem solchen

00:39:22: kollektiven Arbeitsprozess teilzuhaben.

00:39:25: Das wäre das Ziel dieses Anlasses dann.

00:39:29: Und so ungefähr, wann könnte man den Sammelband dann erwarten?

00:39:32: Wenn mein Gebet ausreicht, um das zu bewerkstelligen, dann müsste man vor dem

00:39:39: nächsten Kolloquium, wir werden jedes Jahr ein solches Kolloquium machen,

00:39:42: immer mit einem neuen Thema.

00:39:44: Nächstes Jahr wird es Ungleichheit sein, mit einer amerikanischen Soziologin,

00:39:48: die Expertin auf dem Gebet ist.

00:39:50: Wir werden wieder eine Ausstellung machen, wo wir aber die Fotografien,

00:39:53: die Ungleichheit dokumentieren, präsentieren werden. Also bis zu dieser nächsten

00:39:58: Ausstellung und dem nächsten Kolloquium soll das Buch vorliegen.

00:40:03: Auch motivierend für die Teilnehmer zu sagen, es wird wirklich was draus.

00:40:09: Also wir setzen uns ran, sofort nach Ende der Tagung und bearbeiten die bei uns eingehenden Texte.

00:40:17: Das ist so das Nahziel dann.

00:40:20: Und danach kommt die nächste Runde, dann sehen wir weiter.

00:40:23: Wunderbar. Herr Professor Schulteis, ganz herzlichen Dank für die spannenden

00:40:27: Einsichten in Bourdieus' Leben, in Ihre eigene Arbeit.

00:40:30: Das ist ja alles auch Ihre eigene Arbeit. Wir sprechen ja nicht nur über Bourdieu,

00:40:34: sondern auch über Sie und Ihre Kolleginnen, Lili Schreiber und Charlotte Hüser.

00:40:38: Ich bedanke mich ganz herzlich für dieses tolle Gespräch. Ich wünsche ganz viel

00:40:42: Erfolg beim Kolloquium und sage bis zum nächsten Mal.

00:40:45: Vielen Dank auch an Sie für die Fragen, für das Ping-Pong-Spielen mit Gedanken

00:40:50: und die Gelegenheit, das jetzt hier zu präsentieren. Schönen Tag. Sehr gerne, danke.

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